Antifaschistische Nachrichten 26/1999

Bericht vom 6. Leverkusener Seminar:
»Freiwirtschaft - Querfrontstrategie des Faschismus«

Leverkusen. Menschen aus verschiedenen Städten und Bundesländern nahmen am 11. und 12. Dezember an einem Wochenendseminar der Kommission »Neofaschismus« der VVN-BdA und des HARTMUT-MEYER-ARCHIVS zum Thema »Freiwirtschaft - Querfrontstrategie des Faschismus« teil. Das Seminar, das bereits im Vorfeld einige Resonanz erzeugte, Gegner und Anhänger der Gesell'schen Theorie meldeten sich in großer Zahl zu Wort, begann mit einer Einführung in das »Weltbild« der Anhänger von Silvio Gesell, insbesondere die Frage des »schaffenden« und »raffenden« Kapitals, die ja auch über den NS-Wirtschaftsexperten Gottfried Feder in die Programmatik der NSDAP einfloß. Daß Zins ein Versprechen auf zukünftigen realen Profit aus der privaten Aneignung des Mehrwerts aus gesellschaftlicher Produktion ist, wollen die Gesellianer vernebeln. Die Grundlage dieser privaten Aneignung ist das Privateigentum an Produktionsmitteln, das die Freiwirte aber nicht antasten, sondern schrankenlos walten lassen wollen.

Es geht den »Freiwirten« also nicht um eine sozial gerechtere Gesellschaftsordnung, wie sie vorgeben, sondern um die Durchsetzung eines, durch keine staatlichen Maßnahmen mehr eingeschränkten Kapitalismus. Ein solches Gesellschaftsmodell hat eine Charakterisierung als sozial und gerecht nicht verdient. Die enge Vernetzung der »Freiwirtschafts-Bewegung« mit der völkischen Bewegung, reaktionären »Bodenreformern« und den Anhängern des anarchoindividualistischen Philosophen Max Stirner zu Beginn des Jahrhunderts, wurde in einem zweiten Vortrag deutlich. Die Verbindungen der »Freiwirtschafts-Bewegung« zum National«sozialismus«, so u.a. zum Strasser-Flügel der NSDAP und auch während des Naziregimes, im »Rolandbund« als Teil der NSDAP oder über die Zeitung »Schule der Freiheit«, die bis mindestens 1943 erschien, wurden in einem weiteren Vortrag behandelt. Deutlich wurde, daß die Verbindung der »Freiwirtschafts«-Bewegung zu völkischen Kreisen und Neo/Faschisten eine Kontinuität besitzt, wie der vierte Vortrag über die »Freisoziale Union« (FSU) belegte. Noch heute gibt es Verbindungen der FSU zum Neofaschismus, auch wenn dies immer wieder bestritten wird. Dies belegte auch ein weiterer Vortrag, in dem die FSU-Zeitung »Der Dritte Weg« und ihr Umfeld dargestellt wurden. So wurden u.a. Verbindungen der Zeitschrift zu Personen aus dem neofaschistischen »Weltbund zum Schutze des Lebens« (WSL) um den kürzlich verstorbenen Alt-Nazi Werner Georg Haverbeck als auch zur nationalistischen »Deutschlandbewegung« des Herrn Mechtersheimer nachgewiesen. Auch der neue Vorsitzende der FSU, der »Umweltschützer« Hermann Benjes, stellt keine Ausnahme dar. So war Benjes Autor in der natonalrevolutionären Zeitschnft »Wir Selbst« und Referent bei den Anhängern Herbert Gruhls von den »Unabhängigen Ökologen«. Sein Vorgänger, Horst Mikonausche, referierte gar beim NPD-»Arbeitskreis Wirtschaftspolitik« - und war Berater des in NPD-Fahrwasser geratenen »Deutschen Arbeitnehmerverband«.

Thema des zweiten Seminartages war die »Liberalsoziale Initiative« bei den GRÜNEN« um das ehemalige FSU-Mitglied Georg Otto, der die Zeitschrift »Alternative 2000« herausgibt. Es folgte ein Referat über die »Verrschwörungstheorien«, die im Umfeld von Anhängern der »Freiwirtschafts«-Bewegung kursieren. Trotz der Ernsthaftigkeit des Themas, konnte Mann/Frau hier zum Teil auch einmal herzhaft lachen. Ferner wurden die »Tauschringe« und die Versuche von Neofaschisten, dort Einfluß zu nehmen, thematisiert. Erfreulicherweise gibt es in dieser Frage auch erste Erfolge antifaschistischer Arbeit zu verzeichnen.

Die Zusammenarbeit der »Freiwirtschafts«-Bewegung mit Anhängern des Vordenkers des »Individual-Anarchismus«, Max Stirner und Pierre Joseph Proudhons, heute vor allem um die Zeitschrift »Espero« zu finden, war Thema des letzten Referats. Aufschlußreich auch, mit welchen Methoden Gesell-Anhänger um den früheren Herausgeber der anarchistischen Zeitschrift »agit 883«, Klaus Schmitt aus Berlin, heute versuchen, antifaschistische Kritik an den Verbindungen der »Freiwirtschafts«-Bewegung zu verhindern.

Resümee der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Eine Auseinandersetzung mit den Anhängern des Silvio Gesell ist notwendig, auch wenn diese nur eine Randgruppe im rechten Spektrum darstellen. Stärker als in der Vergangenheit versuchen die »Zinsknechte« heute Menschen aus dem ökologischen und christlichen Spektrum, aber auch aus der Esotorik-Szene, anzusprechen. Dabei bedienen sie sich des demagogischen Kniffs, ihr Modell des ungehemmten Wettbewerbs als »3. Weg« zu verkaufen. Nicht zufällig hatte die NSDAP diesen »3.Weg« in ihrem Parteiprogramm von 1920 für sich reklamiert. Eines wurde jedenfalls klar: Die von Silvio Gesell vertretene Kritik an der Geld- und Zinspolitik stellt keine Alternative zur bestehenden Gesellschaftsordnung, sondern eher einen Schritt zurück dar. Die Auseinandersetzung mit den »Zinsknechten« und ihrer Demagogie hat erst begonnen. Weitere Aktivitäten werden folgen.

Kommission »Neofaschismus« der VVN-BdA NRW


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